Samstag, 22. Oktober 2011

Bloß weg aus Peking

Wir müssen weg. Raus aus diesem Hotel. Aus dieser Stadt. Irgendwohin, wo keine schönen gemeinsamen Erinnerungen mit Markus an jeder Ecke lauern. Zu irgendeinem Ort, der Platz für neue schöne Abenteuer bietet.

Wohin?

Fliegen möchte ich nicht. Zu schnell zu weit. Zugfahren möchte ich aber auch nicht mehr. War perfekt, wie es war. Und Lhasa liegt für Levi sowieso zu hoch. Fahrt ins Commune by the Great Wall, schlägt Frederic vor. Levi war zu ihm rübergekrabbelt. Ich habe eine Tochter im selben Alter, hat er sich vorgestellt. Er ist Schwede und Unternehmensberater. Die Luft ist heute extra dunstig und färbt ganz Peking traurig grau. Mir fällt das Atmen schwer, also verabschieden wir uns, um uns virtuell dem Commune zu nähern:

„Auf der einen Seite ist es ein Hotel – auf der anderen Seite eine Kunstausstellung. Denn auf dem Gelände des „Commune by the Great Wall“ stehen Werke von zwölf asiatischen Architekten. Die Villas mit Namen wie „Koffer-Haus“, „Flughafen“, „Die Zwillinge“ oder „Wald-Haus“ wurden 2002 bei der Biennale in Venedig ausgestellt und preisgekrönt. Heute kann man sie einfach nur anschauen oder gleich darin übernachten. Vom Hotel aus führt ein Privatweg zur Chinesischen Mauer...“

Klingt perfekt. Also los. Taxi organisieren, packen, auschecken. 1,5 Stunden später stehe ich enttäuscht in unserem neuen Zimmer und würde am liebsten sofort zurück nach Peking. Wir stehen in einem ganz normalen schlicht-spartanisch gestalteten Zimmer ohne Blick, dafür mit scharfkantigen, weil abgebrochenen Badezimmermöbeln und eiskaltem Betonboden. Kurz bevor ich mich damit abfinden möchte fällt mir meine alte Stärke wieder ein: Hotelzimmer wechseln, bis ich das für mich perfekte gefunden habe.


Also zurück zur Rezeption, unserer Enttäuschung Ausdruck verleihen, die Optionen klären. Es gibt nicht viele. Das architektonische Highlight, die Bambushäuser, werden gerade alle renoviert. Gleiches gilt für fast alle Cantilever Häuser, bis auf zwei. In denen wohnen jedoch die Teilnehmer eines Firmenevents. Ein Zimmer sei darin noch frei. Ansonsten noch ein Zimmer im Forrest House. Das sei ganz nah am hoteleigenen Kindergarten, Commune for the children. Der sei aber leider bis übermorgen noch geschlossen.

Hmmmm.

Das Prinzip ist also Housesharing. In jedem der Häuser sind 4-10 Zimmer mit eigenem Bad. Wohnzimmer, Küche und Terrassen werden geteilt. Das kann ganz spannend sein, denke ich. So treffen wir wenigstens ein paar Chinesen. Birgt aber auch Risiken, befürchte ich beim Gedanken an einige mir bekannte feucht fröhliche Firmenevents.

Mit einem schwarz gekleideten jungen Chinesen ziehe ich los zur Zimmerbesichtigung. Die wächst sich zu einer schönen Wanderung durch das weitläufige hügelige bewaldete Gelände und gleichzeitig spannenden Architekturschau aus: vorbei an zwei Bambushäusern, bei denen langstielige Bambusse mal hochkant, mal querkant gegeneinander verbaut sind, so dass spannende Lichteffekte entstehen, inspizieren wir jetzt ein vogelhausähnliches rotes Betonhaus mit riesiger Dachterrasse und voller chinesischer Männer, die ihrerseits interessiert und belustigt auf Levi und mich schauen. Scheint eine Ingenieursfirma zu sein, die hier firmeneventet. Das Zimmer ist schön, warmer Holzboden, riesiges Bett, Badewanne, toller Blick über die Berge. Das Haus bietet darüber hinaus einen riesigen offenen Wohnbereich mit hohem Luftraum über zwei Etagen, eingerahmt von einer fast komplett verglaster Fassade. Irgendwie erinnert mich dieses Haus an die moderne Architektur der 60er Jahre. Beton gemischt mit Bonbonfarbe und eco-bohemian Chic. Jeden Moment könnte James Bond alias Sean Connery um die Ecke geschlendert kommen und um einen Martini bitten. Gerührt natürlich. Witzig, dass das moderne chinesische Architektur aus dem Jahre 2002 ist. Asiatisch wirkt hier in meinen Augen gar nichts. Aber futuristisch auch nicht. Alles ist total gemütlich. Natur und Wohnraum verschmelzen. In Südfrankreich oder im Hinterland von Los Angeles würde ich diese Architektursiedlung verorten.

Alternativ ist da das Forrest House. Für uns alleine. Ein schmaler hoher weißer, dreistöckiger Betonbau. Der Wohnbereich mit einem kuscheligen Sofa und zwei Sesseln und der eine Ebene darüber befindliche Küchen- und Eßbereich sind offen gehalten, weiß und riesig. Der Eßbereich ist von einem hüfthohen Gelände eingefasst, unter dem der Wohnbereich liegt. Vom Eßbereich führt eine steile 30-stufige Treppe in unser Schlafzimmer. Von der obersten Stufe hat man einen schönen Blick über die reisterrassenartige nach hinten unten versetzte Anordnung von Küche, Ess- und Wohnbereich. Levis Paradise. Denn er liebt Treppenkrabbeln über alles.

Das erste Mal seit langem bin ich wieder völlig unentschlossen. Schöner finde ich das Cantilever House. Aber die Firmenveranstaltung und meine Vorurteile über chinesische Männer unter Einfluß von Alkohol sprechen dagegen. Die Einsamkeit des Waldhauses macht mich aber auch nicht an. Das Herz sagt Cantilever, aber mein Mut ist nicht groß genug. Enttäuscht gebe ich mich meinem Verstand geschlagen und nehme den Schlüssel des Forrest House entgegen.

Auf meine Frage, was ich denn hier machen könne, antwortet die Dame an der Rezeption: Tennis spielen. Als ich sie auf die chinesische Mauer anspreche rät sie ab: zu steil für Levi. Und unrenoviert. Also gefährlich.
Neben tanzen und shoppen hilft vielleicht auch etwas Gutes zu essen, hoffe ich. Die Restaurants liefern nicht ins Zimmer, sagt die Rezeptionistin.

Irgendwie ist hier alles kompliziert, denke ich, als Levi auf meinem Schoß eingeschlafen ist und ich an den Seefood Dumplings herumknabbere, die mir der nette Kellner aus dem chinesischen Restaurant dann doch in eine chice braune Papiertäte mit rotem Sterne Logo und schwarzem Commune Schriftzug eingepackt hat.

Mal schauen, was der Tag morgen so bringt, smse ich an Markus.

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